Die Kunstform Poetry Slam erobert die Lyrik in schnellen Schritten. Wortspieler treffen auf Nachwuchsliteraten, Textpoeten auf Kabarettisten. Der erste Isar Slam bittet zum Wortgefecht.
Als Pierre Jarawan ans Mikrofon tritt, wird es kirchenstill im vollgestopften Raum. Alle Augen sind mit wartender Gespanntheit auf die Bühne gerichtet. „Okay“, beginnt der 27jährige, „Ich habe euch einen Text über die Schönheit und Komplexität der Sprache mitgebracht.“ Mit diesen Worten eröffnet der deutsche Slam-Meister 2012 das Wortgefecht des ersten Isar Poetry Slams in München. Was in den 80er-Jahren in Chicago begann, hat sich inzwischen zu einem internationalen Phänomen entwickelt. Poetry Slam ist ein Wettbewerb der Bühnendichter. Bis zu einem Dutzend Poeten teilen sich einen Abend lang dieselbe Bühne, um ihre selbstgeschriebenen Texte dem Publikum so aufregend wie möglich vorzutragen. Zwei Stuhlreihen rund um die kleine Bühne besetzen die ersten Gäste des Abends, der große Rest des Publikums quetscht sich auf jeden Quadratzentimeter, den der Club „Ampere“ in München zu bieten hat. 400 Gäste zählen die Veranstalter. Dann beginnt der Deutsch-Jordanier seine essayistische Kurzgeschichte über kindliche Leseerfahrungen gepaart mit philosophischen Überlegungen. Das junge Publikum ist seinem Wortregen bereits in den ersten Sekunden verfallen. Pierre tänzelt auf einem schmalen Grat zwischen Tiefgründigem und Humorvollem, seine Sprache schlägt Kapriolen und stiehlt dabei fast seiner Show die Show. Dabei rollt er höchstens mal mit den Augen, um eine Alliteration zu untermalen, seufzt oder kichert, wenn eine Textstelle besondere Aufmerksamkeit verlangt. Primär deklamiert der in Amman geborene Poet mit versierter Mimik und Gestik. „Sprache kann in ihrer Einfachheit so schön sein, wenn man sie nur ernst nimmt“, damit schließt die Slam-Ikone seinen Beitrag. Beifall, Jubel, Trampeln. Der Saal tobt in voller Länge und Breite. Bestnote für den Meister der Poeten. Ko Bylanzki, der seit 14 Jahren als Moderator die Szene prägt und zusammen mit Pierre durch den Abend führt, kann das nur bestätigen. „Wow, das war ein Startschuss, oder Leute?“ Noch mehr Beifall. Damit ist der Gladiatorenkampf der Poeten eröffnet. Acht Teilnehmer stehen bereits erwartungsfroh am Rand der Bühne. Ko schildert nochmal die wichtigsten Regeln: Die vorgetragenen Texte müssen selbst verfasst sein, bis zu sieben Minuten hat ein Performance-Künstler Zeit, um die literarischen Ergüsse so aufregend, so mitreißend, so einfühlend und gekonnt wie möglich vorzutragen. Keine Hilfsmittel, kein Bühnenbild, keine Gesangsstücke. Das Publikum bestimmt über die Lautstärke des Applauses Gewinner und Verlierer des Abends. Das wird auch gleich getestet. Sechs von ihnen wurden vorab von den Moderatoren zur Jury gekürt, die die einzelnen Slammer mit Punkten von eins bis zehn bewerten sollen. Pauline ist an der Reihe und zupft schon nervös an ihrem Pullover, als Pierre sie ankündigt. Wie eine Wolke, die schnell durch die Kulisse zieht, wirkt die Hannoveranerin in ihrem blauen Pullover. Ihre Worte prasseln wie ein Platzregen über das begeisterte Publikum. Die Hände flattern durch die Luft, sind immer wieder mal in Bewegung. Sieben Minuten später hält die Jury selbstgekritzelte Bestnoten auf den Blöcken in die Höhe. „Slammen bedeutet nicht nur, ein Gedicht vorzutragen“, erläutert Jarawan. „Vielmehr stehen Interpretation und Inszenierung im Vordergrund.“ Kreischen, flüstern, jaulen, gestikulieren – für die Poeten geht es darum, mit dem gesprochenen Wort zu jonglieren. Der Poet muss seinen Text charmant vortragen, das gierende Publikum verzaubern. Bühnen dafür gibt es immer mehr, 150 bis 200 deutsche Dichter reisen regelmäßig zwischen Nordsee und Alpen hin und her. Zwischen 30 und 40 von ihnen sind so gut, dass sie damit ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Sven Kemmler zum Beispiel, der mit schallendem Beifall auf der Bühne begrüßt wird. Der älteste Poet des Abends legt einen strengen Uhu-Blick auf und beginnt seine pittoreske Geschichte. „Sven kennt man in der Szene“, erzählt der 32jährige Max, der öfter zu Slams kommt. „Sie sind immer abwechslungsreich und inspirierend.“ Die Gäste genießen den Auftritt des versierten Wortjongleurs. Frech kleckst der Kabarettist mit sonorer Stimme die Worte wie Farbspritzer in die weiße Kulisse, das Publikum lacht an den vorgesehenen Stellen. Die deutsche Dichter-Szene ist die zweitgrößte nach der in den Vereinigten Staaten und bereits eine feste Größe im Literaturbereich. Vor einem guten Jahrzehnt wurde das Erfolgskonzept aus den USA nach Europa herübergereicht. Erfunden hat das Format ein Amerikaner, Marc Kelly Smith, in der Szene liebevoll „Slampapi“ genannt. Ziel des heute 63jährigen war es, das Interesse der jungen Menschen an Lesungen wiederzubeleben. Inzwischen hat sich Poetry Slam als internationale Kunstform durchgesetzt. „Allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es in etwa 70 regelmäßige Slams, die jährlich ihre Lieblingspoeten zur deutschsprachigen Meisterschaft entsenden“, erzählt Jarawan. Insgesamt treten fünf Stars aus der deutschsprachigen Poetry-Szene auf, mutige Kurzentschlossene sichern sich die begehrten letzten drei Plätze. An diesem Abend trifft Rap auf Ernst, Komik auf Poesie, Lyrik auf geschliffene Aphorismen: im Poetry Slam ist alles möglich. Es treten Charaktere ins Scheinwerferlicht, die unterschiedlicher nicht sein können. Da ist die melancholische Träumerin Pauline, der zottelige Senkrechtstarter Jan-Philipp, der aufsteigende Stern am Poetry-Himmel Johannes. „Wir sind wie eine große Zirkusfamilie“, erzählt Ko Bylanzki. Am Ende macht Pauline das Rennen und gewinnt eine Flasche Whiskey, den Preis des Abends, die natürlich familiär geteilt wird. Pauline strahlt: „Nach all dem Lampenfieber bin ich jetzt wirklich überglücklich, gewonnen zu haben. Beim Poetry Slam geht es uns nicht um den Gewinn, aber man muss schon zugegeben: er hilft ungemein.“
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